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Kindernotfallmedizin für Westafrika

Kirchengemeinde entsendet Stuttgarter Kinderärztin nach Gambia

In Kooperation mit AGIAMONDO (Personaldienst der deutschen Katholik:innen für internationale Zusammenarbeit) wurde die Kinderärztin Frau Dr. Sara Loetz als Fachkraft für drei Jahre an das Edward Francis Small Teaching Hospital (EFSTH) nach Banjul (Gambia) entsandt und reiste mit ihrer Familie im November 2023 aus. Ziel vor Ort ist es, die Kindernotfallversorgung zu verbessern. Gambia ist ein sehr kleines, westafrikanisches Land mit ca. 2,5 Mio. Einwohnern. Die Sterblichkeitsrate bei unter 5-Jährigen liegt bei 47,9 % (bezogen auf 1.000 Lebendgeburten). Am EFSTH ist die Kindernotaufnahme die „Eingangstür“ der Kinderklinik, in der alle eintreffenden Kindernotfälle erstversorgt werden. Aktuell stirbt in der Kindernotaufnahme jeder vierte Patient. Damit sich die Situation in der Kindernotfallversorgung verbessert, wird Frau Dr. Loetz medizinisches Personal aus- und fortbilden sowie Strukturen in der Kindernotaufnahme optimieren und standardisieren. Unsere Kirchengemeinde ermöglicht das Gambia-Projekt durch die Entsendung von Frau Dr. Loetz über AGIAMONDO. Gemeinsam haben wir alle die Möglichkeit, durch regelmäßige Berichte Gambia hautnah zu erleben und mit kleinen Projekten die Arbeit vor Ort zu unterstützen.

Interview mit Frau Dr. Sara Lötz im Magazin katholisch im zabergäu, Ausgabe 01/2024

Berichte aus Gambia

Banjul, im Dezember 2023


Liebe Lesende,

Die Kindernotaufnahme des Edward Francis Small Teaching Hospital (EFSTH) in Banjul war vor meinem Kommen ohne klare ärztliche Führung. Ich habe nun diese Aufgabe übernommen. Was bedeutet das für meine Anfangsphase konkret?
Erstmal ankommen und orientieren, um Strukturen zu erkennen. Um herauszufinden, woran die meisten Kinder sterben, habe ich mich mit dem ward clerk (Stationssekretär) zusammen-gesetzt und die dicken, handgeschriebenen Bücher, in denen Patientennamen, Geschlecht, Alter und Diagnosen gesammelt werden, durchgearbeitet. Da es offiziell keine Leitlinien gibt, nach denen behandelt wird, führte ich viele Gespräche, um herauszufinden, wonach die Ärzte und Ärztinnen ihre Therapieentscheidungen treffen.
Ich habe zahlreiche Kontakte geknüpft: zur Administration, zur Apotheke, zum Labor. Aber auch zu den anderen Fachabteilungen: Dem einen Kinderchirurgen, den HNO-Ärzten, Dermatologen, Radiologen und dem Kardiologen für erwachsene Patienten. Von allen gibt es nur wenige, fast alle Oberärzte sind keine Gambier. Allen ist gemein, dass sie keine Zeit haben, weil es einfach zu viele Patienten auf zu wenige Fachkräfte gibt. Vor allem habe ich Beziehungen zu meinen vier pädiatrischen Oberärztekollegen aus Nigeria aufgebaut. Fachlich sehr gut, vor allem in diesem Setting, wo die Anamnese und die klinische Untersuchung noch die wichtigsten Instrumente sind. Leider sind wir hier weit entfernt vom europäischen bzw. deutschen Standard. Ein Blutbild gibt es nur ab und zu. Weitere Labortests bloß, wenn die Familie ein Labor außerhalb des Krankenhauses bezahlen kann. Röntgenbilder allein für Kinder ohne Sauerstoffbedarf, da es keinen mobilen Sauerstoff gibt.

Alle sind mit Herzblut dabei. Aber ebenso gefordert. Die Neonatologin visitiert jeden Tag 50 Kinder und bildet nebenbei auch noch aus. Die vierzehn Assistenzärzt:innen bereiten sich auf eine große Zwischenprüfung im Februar vor, pauken und fragen viel. Auch sie sind maximalst in die Patientenversorgung eingebunden. Wir nutzen die morgendliche Besprechung zum teachen und jede Gelegenheit zwischendurch.
Die Patienten bieten uns dazu viele Möglichkeiten – kommen sie doch mit einem bunten Potpourri an Diagnosen in die Notaufnahme. Sehr häufige Erkrankungen sind: Malaria, Unterernährung mit Komplikationen, Hirnhautentzündung, Masern, HIV, Tuberkulose, Lungenentzündung, aber auch Tumorerkrankungen und viele angeborene Herzfehler.

Sehr froh bin ich über Gabor, ein gambischer Assistenzarzt, der bereits 10 Jahre an der Klinik ist – also lange bevor es die Möglichkeit gab, sich zum Kinderarzt weiterbilden zu lassen. Er ist ein Goldstück für mich, kennt er doch alle und kann vieles erhellen, was im ersten Moment unlogisch erscheint. Wir kämpfen gemeinsam zum Wohl unserer Patienten. Scheitern aber leider nicht selten, weil es die notwendigen Möglichkeiten nicht gibt. Die Absaugung funktioniert nicht und verschwindet auf dem Berg von Geräten beim Maintenance (Wartung) – wer weiß wann sie zurückkommt.

Liebe Lesende,

Banjul, im Januar 2024

seit Anfang Januar ist mir ein neuer Assistenzarzt zugeteilt. Dr. Barry ist jung, aber sehr wissbegierig. Er liest gerne und viel nach. Es macht Spaß mit ihm zusammenzuarbeiten. Außerdem sind sechs Ärzt:innen im Anerkennungsjahr bei uns. Sie bleiben jeweils für vier Wochen in der EPU. Ihre Aufgabe ist es, mich bei der Patientenversorgung zu unterstützen und Behandlungspläne auszuarbeiten. Eine weitere Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass uns Testergebnisse aus dem Labor erreichen und wir Blut für Bluttransfusionen erhalten. Das alles ist eine große, alltägliche Herausforderung, da das EFSTH eine ressourcenarme Klinik ist. Alles funktionier mit Papieranforderungen, ständig ist irgendetwas kaputt oder funktioniert nicht.

Morgens machen wir eine gemeinsame Visite und sehen die aufgenommenen Kinder der letzten Nacht, die so kritisch krank sind, dass sie nicht direkt auf die Station verlegt wurden. Zudem noch die Kinder, die so kritisch krank geblieben sind, dass sie nicht verlegt werden können. Im Januar hatten wir sehr viele sehr kranke Kinder. Dafür gibt es zwei Gründe: Aktuell ist die kälteste Zeit des Jahres (nachts ca. 15 Grad) und es steht viel Staub in der Luft – der Hamatan aus der Sahara zieht vorüber. Zu dieser Zeit gibt immer mehr Atemwegsinfektionen. Wir sehen viele Lungenentzündungen und Asthmafälle. Aber auch viele Hirnhautentzündungen durch Bakterien. Die Patienten sprechen leider oft schlecht auf die bei uns erhältlichen Antibiotika an, was nicht selten zum Tode führt. Außerdem hatten wir zwei Fälle von Wundstarrkrampf, bei schlecht immunisierten, also geimpften Jungen. Gambia ist ein muslimisches Land, in dem häufig die Jungen unter unhygienischen Bedingungen beschnitten werden. Tetanus ist eine schreckliche Krankheit. Der zweite Junge kämpft weiter mit uns, den ersten haben wir bereits verloren. Wenn wir einen Todesfall hatten, gibt es immer eine kurze Nachbesprechung, wo wir gemeinsam überlegen, wie wir die Versorgung verbessern können. Diese Besprechungen empfinde ich als extrem wertvoll. Hier entstehen oft gute Ideen, wie wir unsere Abläufe weiter verbessern können, z.B. durch gute Alarmierungsketten, robustes Notfallequipment und Teamwork.
Die Arbeit ist alles andere als nur traurig, wir lachen viel und lernen von- und miteinander. In der 3. Januarwoche hatten wir keinen einzigen Todesfall. Das Team war sehr stolz, wächst gut zusammen und wir haben den Erfolg mit einer Runde Kaltgetränken ein wenig gefeiert.

Der gambische Gesundheitsetat ist sehr klein. Die Klinik erhält ihre Mittel direkt vom Gesundheitsministerium – leider wurde aber seit vier Monaten nichts mehr geliefert – und so fehlt es uns an sehr vielen. Um die Klinik herum gibt es einige Apotheken und Labore, die davon profitieren. Und so schicken wir die Eltern der Kinder, um Antibiotika zu kaufen oder auch Labortests zu machen – weil die Tests im Kliniklabor nicht mehr gemacht werden können, da die Reagenzien fehlen. Unser Blutzuckermessgerät war auch kaputt. Und so leihen wir uns Equipment von der Kinder- oder Neugeborenenstation aus. Am Freitag gab es ein neues Blutzuckermessgerät – die Pflegekräfte haben getanzt vor Freude.

Wir machen weiterhin wöchentliche Notfalltrainings nach dem ETAT (Emergency Triage Assessment and Treament) Konzept, also Kindernotfallversorgung mit wenigen Ressourcen.

Mir gibt die Arbeit auf der EPU alles in allem große Befriedigung. Auch wenn es oftmals sehr kniffelig ist, Diagnosen zu finden und ich nicht selten abends bis spät Bücher wälze. Ich möchte unbedingt herausfinden, was der Patient haben kann – und wie wir helfen können mit unseren begrenzten Möglichkeiten.

Banjul, im März 2024

Liebe Lesende,

die Arbeit auf der Emergency Pediatric Unit (EPU, Kindernotaufnahme) macht weiter große Freude und obwohl mir vieles subjektiv zu langsam geht, sind wir objektiv gesehen auf einem guten Weg.

Ich habe in zwei 2-tägigen Kursen 20 Pflegekräfte in ETAT (Emergency Triage Assessment und Treatment) geschult. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren sehr positiv. Gemeinsam im Team setzen wir das Notfallkonzept gut um, das Notfallmanagement läuft bereits deutlich besser.
Natürlich zeigt sich zunehmend auch, dass das Projekt kein Sprint wird, sondern ein Marathon. Aber wir suchen gemeinsam nach Lösungen, mit denen zumindest ein Großteil der Mitarbeiter zufrieden ist. Ein Diskussionspunkt ist die Frage, was wir überhaupt für eine Unit sind. Emergency Unit ist eigentlich nur Notaufnahme, aber da es keine Pädiatrische Intensivstation gibt, fungieren wir auch als solche. Auch für chirurgische Patienten vor Operationen. Andere Fachabteilungen übersenden uns auch ihre Patienten, sobald diese kritisch krank werden. Sie haben weder das Wissen noch das Equipment dies selbst zu managen. Deshalb möchte ich in weiteren Schritten auch andere Abteilungen ausstatten und schulen.

Das Edward Francis Small Teaching Hospital (EFSTH) ist bankrott. Gesundheit hat keine Priorität in Gambia, es fließt äußerst wenig Geld in die Gesundheitsversorgung. Dazu gibt es noch eine überforderte Klinikadministration und einen Klinikdirektor, der Symptome bekämpft, sich aber nicht an die Ursachen wagt.

Gestern Nacht gab es kein Artesunate mehr, die Therapie für schwere Malaria. Patienten werden dann zu Apotheken außerhalb der Klinik geschickt, um dort Medikamente und Material zu kaufen. Nachts haben diese jedoch alle geschlossen und somit kommt es zu unnötigen Therapieverzögerungen. Auch haben die Familien oft nicht ausreichend Geld dabei. Dann muss erst gesammelt werden, bevor der Patient die gewünschte Antibiose erhält.
Awa, der Engel unserer Station, die sich um unsere Bestellungen kümmert, verwaltet den Mangel sehr gut. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber wir haben trotz der beschriebenen Situation noch einen Großteil der Medikamente auf dem Notfallwagen. Auch ich versuche unermüdlich zu erreichen, dass wir das Notwendige erhalten. Unser Equipment (Sauerstoffmasken und Beatmungsbeutel etc.), eigentlich Einmalbedarf, wird wiederverwertet.
Und dann stehen auf einmal zehn neue Dialyse-Maschinen im Hauptgebäude der Klinik rum. Spenden gibt es viele. Oft ist es aber nicht das, was wir brauchen. Oder es fehlen notwendige Artikel, um die Maschinen benutzen zu können.

Worin die jungen Kolleg:innen hier sehr versiert sind, ist die gute Anamnese und klinische Unter-suchung. Damit kommt man zumindest in der Kinderheilkunde häufig zu einer Verdachtsdiagnose. Oftmals fehlt uns dann jedoch im Verlauf die Bestätigungsdiagnostik für unsere Vermutungen.
Ich versuche so viel wie möglich auf der Station zu lösen und nicht auf externe Hilfe bzgl. Diagnostik angewiesen zu sein, um unnötige Fehlerquellen und Verzögerungen zu vermeiden. Wir können mittlerweile den Hämoglobinwert bestimmen, Urin und Gehirnwasser untersuchen, auf Zucker und Malaria testen. HIV, Blutbild und Tuberkulosetest funktionieren ebenfalls gut. Bei komplexeren Fällen stehen wir manchmal ratlos da. Mehr Diagnostik, vor allem bzgl. Viruserkrankungen wäre sehr hilfreich. Offiziell gibt es hier zum Beispiel kein Denguevirus, da wir keinerlei Testmöglichkeit haben. Es wäre aber sehr wichtig, da es im benachbarten Senegal gerade einen Ausbruch gibt.

Ausbildung ist meine oberste Prämisse. Die House Officer verbringen zwei Monate mit mir in der Notaufnahme und gehen dann, am Ende ihrer Rotation, an die peripheren Kliniken des Landes. In der Regel als einzige ärztliche Kraft, mit viel Verantwortung. Ich hoffe sie erinnern sich dann an das Gelernte.

In der Vorbereitung bei AGIAMONDO wurde davon gesprochen, dass wir Fachkräfte uns auf unser Mandat konzentrieren sollen. Ich sehe mein Hauptmandat in der Ausbildung bzgl. des Notfallmanagements von schwerkranken Kindern. Die neuen House Officers haben gleich am zweiten Tag ein Kind erfolgreich wiederbelebt. Das ist ein Riesenerfolg.

Ich habe noch keine Daten, aber wir verhindern zumindest “banale” Todesfälle meines Empfindens immer besser. Letztes Jahr um diese Zeit gab es einige Todesfälle bei schwerer Austrocknung ausgelöst durch Durchfall. Dieses Jahr noch keinen.

Aktuell ist Ramadan. Ein Großteil des Personals fastet auch. Ab und an liegt jemand in Schocklage auf einer Patientenliege. Die Abläufe während des “Hungermonats” sind anders – alles tickt langsamer und viele verbringen viel Zeit mit ihren Familien zu Hause. Ich esse aktuell ebenfalls nur selten auf der Arbeit- es fühlt sich nicht richtig an, ein Sandwich zu essen, wenn alle anderen bei 40 Grad nicht essen und trinken. Auf dem Markt und im Straßenverkehr lässt sich gegen 17 Uhr beobachten, wie Hunger zu schlechter Laune führen kann. Ansonsten bin ich aber sehr beeindruckt wie viel Kraft aus dem Fasten gezogen wird. Viele erscheinen stärker und nicht schwächer. Andere argumentieren, dass sie das, was sie haben, mehr schätzen nach dieser Zeit.
Ich bin dankbar, dass meine Familie und ich diese Kultur in vielen Facetten sehr nah miterleben können.

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