Das Rottenburger Modell in den Kirchengemeinden – Ein Vorbild für teilhabende und zukunftsweisende Kirchenleitung
Das Rottenburger Modell steht seit über 50 Jahren für eine innovative Form der Kirchenleitung – nicht nur auf diözesaner Ebene, sondern vor allem auch in den einzelnen Kirchengemeinden. Hier arbeiten Pfarrer, gewählte Kirchengemeinderäte und andere ehrenamtlich Engagierte partnerschaftlich zusammen, um eine lebendige, transparente und partizipative Gemeindearbeit zu ermöglichen. Dabei werden nicht nur Vorteile der gemeinsamen Verantwortung und konsensbasierten Entscheidungsfindung genutzt, sondern auch Impulse für den Synodalen Weg und die Zukunft der Kirche gesetzt.
Kernelemente und Vorteile auf Gemeindeebene
- Doppelspitze in der Gemeindeleitung
In jeder Gemeinde bildet der Pfarrer zusammen mit dem gewählten Gemeinderat eine effektive Führung. Während der Pfarrer für seelsorgerische Aufgaben zuständig ist, vertritt der Gemeinderat die Anliegen der Laien. Diese partnerschaftliche Leitung ermöglicht es, lokale Bedürfnisse direkt und zielgerichtet in die Gemeindearbeit einzubringen. - Konsensbasierte Entscheidungsfindung
Entscheidungen – sei es in der Liturgie, Verkündigung oder karitativen Angeboten – werden im Einvernehmen zwischen Pfarrer und Kirchengemeinderat getroffen. Dieses Prinzip stellt sicher, dass alle wichtigen Perspektiven berücksichtigt werden und die Gemeinde als Ganzes hinter den getroffenen Beschlüssen steht. - Transparenz und Mitbestimmung
Durch offene Kommunikation und regelmäßige Information über Entscheidungsprozesse wird Vertrauen geschaffen. Finanzielle Fragen, wie die Verwendung von Gemeindemitteln, und organisatorische Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, was die Transparenz in der Verwaltung der Kirchengemeinde stärkt. - Stärkung des Ehrenamts und lokaler Initiativen
Engagierte Gemeindemitglieder bringen ihre Ideen ein und unterstützen Veranstaltungen, soziale Projekte oder Bildungsangebote. Diese Einbindung fördert ein dynamisches Miteinander und sorgt dafür, dass die Vielfalt der Gemeinde zum Tragen kommt.
Praktische Beispiele aus der Kirchengemeinde
- Gemeinsame Veranstaltungsplanung:
Festtage, Gemeindefeste und spirituelle Angebote werden gemeinsam organisiert. Dabei sorgt der Pfarrer für die seelsorgerische Ausrichtung, während der Gemeinderat die lokalen Bedürfnisse und organisatorischen Details koordiniert. - Mitgestaltung von Liturgie und Verkündigung:
Die enge Zusammenarbeit ermöglicht es, traditionelle Elemente mit innovativen Impulsen zu verbinden – so entsteht ein Gottesdienst, der sowohl den historischen Wurzeln als auch den aktuellen Bedürfnissen der Gemeinde gerecht wird. - Transparente Verwaltung:
Entscheidungen über den Einsatz von Haushaltsmitteln oder Renovierungsmaßnahmen werden offen diskutiert und gemeinsam beschlossen. Dies fördert nicht nur die Verantwortlichkeit, sondern stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl. - Förderung individueller Ideen:
Initiativen werden gezielt unterstützt, sodass lokale Projekte entstehen, die den besonderen Charakter der jeweiligen Gemeinde widerspiegeln.
Geschichtliche Entwicklung
Das Rottenburger Modell hat eine lange Tradition, die seine nachhaltige Wirkung belegt:
- 1968: Einführung des Modells durch Bischof Carl Joseph Leiprecht.
- 1972: Rechtliche Verankerung des Modells, nachdem anfängliche Skepsis seitens des Vatikans überwunden wurde.
- Kontinuierliche Weiterentwicklung: Über die Jahrzehnte hinweg wurde das Modell stetig angepasst und verfeinert, um den sich wandelnden Bedürfnissen der Kirche gerecht zu werden.
- Aktuelle Bedeutung: Bischof em. Dr. Gebhard Fürst betonte zuletzt die Relevanz des Rottenburger Modells als Impulsgeber für den Synodalen Weg in Deutschland.
Unterschiede zu Strukturen in vielen anderen Diözesen
Das Rottenburger Modell unterscheidet sich in mehreren wesentlichen Punkten von anderen Ansätzen:
- Echte Mitentscheidung:
Während Laien in vielen Bistümern oft nur beratend tätig sind, verfügen die Räte in Rottenburg-Stuttgart über echte Entscheidungsbefugnisse – auf Gemeinde- wie auch auf diözesaner Ebene. - Vorsitz des Pfarrers:
Der Pfarrer fungiert automatisch als Vorsitzender des Gemeinderats, was eine besonders enge Verzahnung zwischen seelsorgerischer Leitung und administrativer Verantwortung ermöglicht. - Konsensprinzip in Kernbereichen:
Entscheidungen in zentralen Bereichen wie Liturgie und karitativen Aufgaben können nur im Einvernehmen mit dem Pfarrer getroffen werden – ein Ansatz, der für eine ausgewogene und einheitliche Gemeindearbeit sorgt.
Das Rottenburger Modell in den Kirchengemeinden verbindet eine lange Tradition mit modernen Ansätzen der Gemeindeleitung. Durch die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Pfarrer, Mitglieder des Kirchengemeinderates, Pastoralteam, Mitarbeiter:innen in der Verwaltung und Engagierten entstehen transparente, konsensbasierte und partizipative Strukturen, die sowohl den aktuellen Bedürfnissen gerecht werden als auch zukunftsweisende Impulse liefern. Es ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie Kirche durch echte Mitentscheidung, offene Kommunikation und die Förderung lokaler Initiativen neu belebt werden kann – ein Modell, das sowohl die Geschichte ehrt als auch den Weg in eine partizipative Zukunft weist.