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JUDAS

Verräter oder Erfüllungsgehilfe?

Meisterhafter Monolog einer alten Geschichte aus neuer Perspektive

Helga El-Kothany

Großartig! Aufwühlend! Berührend! Gigantisch! Ein Kraftakt einer brillanten Schauspielerin! Minutenlange stehende Ovationen für eine grandiose One-Woman-Show!
Dabei dürften zu Beginn des Monologs „Judas“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans am Dienstagabend in der Christus König-Kirche in Brackenheim Verwunderung oder Zweifel aufgekommen sein. So wie Zweifel überhaupt zu einem wichtigen Wort an diesem Abend wird.
Gehören die humorvollen Sprüche, das „Sitzplatz wechsle dich“-Spiel, mit dem Schauspielerin Alice Katharina Schmidt von der Badischen Landesbühne unter Lachen Zuschauer ermuntert, die erste Reihe aufzufüllen, schon zum Spiel? Sie hat sich mit „Judas“ vorgestellt. Also ja?
Judas, der Inbegriff eines Verräters. Nach 2000 Jahren erzählt er eine Geschichte, wie man sie kennt und doch nicht kennt. Er beginnt fast poetisch bei seiner Geburt und seinem Namen, auf den er zuerst stolz ist und oft ausspricht. Dann seine Auserwählung zum Jünger. Zufall? Plan? Nun ist er da. „Als Mensch unter Menschen.“
Das Stück, das nur in Kirchen gespielt werden soll, braucht kaum Requisiten. Lichteffekte betonen eindrucksvoll die erhöhte Christusfigur, die das Geschehen zu umarmen scheint.
Die Erinnerungen an den „Meister“, mit dem Judas die letzten drei Jahre ihrer beider Leben verbringt, rufen die intensivsten Gefühlsregungen hervor. In Sekundenschnelle lässt die Schauspielerin Judas überzeugend ein Wechselbad der Gefühle durchlaufen. Er/sie flüstert, schreit, brüllt. Jesus Tod habe er nicht gewollt. Er habe gehofft, ihn nach dem Tod zu sehen. „Falsch gedacht! Er ging einen anderen Weg als ich.“ Himmel und Hölle? Nun klebe Verrat an seinem Namen.
Jesus habe die Anschuldigungen hingenommen, viel vom Tod geredet. Ist es Taktik, Strategie, um den eigenen Mythos zu verstärken? „Könnte hier jemand Jesus mit mir spielen?“ Ein Zuschauer findet sich, der den vorgegebenen Text nachsagt. Eine Geschichte darüber, wie Jesus hinter die Dinge schauen kann. Am Ende darf das Publikum entscheiden, ob sie wahr oder unwahr ist. Überlegungen zu Glaube und Zweifel. Und dann mittendrin die Rolling Stones, „Sympathy for the Devil“, und ein wilder Tanz auf Tisch und Kirchenbank.
Immer wieder wird das Publikum mit Fragen konfrontiert, wird auf die Antworten eingegangen. Und dann die fast provozierende Aussage: „ER ist nicht für eure Sünden gestorben. ICH bin für euch gestorben.“ Alle Schuld habe er auf sich genommen, sich erhängt. Ohne ihn kein Heilsplan, also habe er nachgeholfen. Der Verrat ein Freundschaftsdienst? „Kein Jesus ohne mich.“
Nach 2000 Jahren Schmähungen nun Tränen, Erschöpfung. Judas hätte wieder gern einen Namen. „Jetzt reicht’s!“ Und eines möchte er wirklich wissen: „Hat er mir vergeben oder war seine Barmherzigkeit bei mir erschöpft?“
Für Pfarrer Oliver Westerhold ist das Stück ein idealer Beginn der Karwoche. Es rücke neue Facetten von Judas‘ Charakter ins Licht. Dadurch komme er aus seiner „Verräter-Schublade“ und lasse sich danach vielleicht nicht mehr so leicht nur einer Schublade zuordnen.

Helga El-Kothany

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